Work-in-progress
Ruth Erdt
Die Zürcherin Ruth Erdt hat eine feines Gespür für das Ambivalente und Mehrdeutige. Ihre «Work-in-progress»-Bilder sind weder chronologisch geordnet noch entsprechend dem Kontext, in dem sie entstanden sind. Vielmehr bilden sie ein hybrides Ganzes, ein Puzzle, in dem sich verschiedene Einflüsse und Strömungen brechen. Ruth Erdt geht «fragmentarisch» vor, sie fotografiert abwechslungsweise und ohne Veränderung des Dispositivs mal ihre Kinder, mal ihre Geliebten und Freunde, aber auch Profimodelle. Die Bilder zeigen Momentaufnahmen, die eine Geschichte erzählen: die der Fotografin, jene der Fotografierten, aber auch unsere, indem sie unsere Empfindungen und unser Vorstellungsvermögen in Bewegung setzt.
Haben die Bilder einen dokumentarischen Wert? Erlaubt uns die Fotografin einen (Teil-)Einblick in ihr Leben und ihre persönlichen Erfahrungen oder baut sie eine fiktive Welt auf, die sich in und mit unsere Vorstellungen mischt? Wurden die Bilder spontan aufgenommen oder sind sie das Resultat einer Inszenierung? Ruth Erdt lässt die Betrachter darüber im Unklaren – und genau das ist es, was zur Originalität ihres Werks entscheidend beiträgt. Die Bilderserie mag zwar inhaltlich fragmentarisch wirken, ist aber in ihrer Aussage und von der Arbeitsweise her kohärent. Ruth Erdt richtet ein besonderes Augenmerk auf Materie und Licht und macht aus den verschiedenen Teints und Texturen der Haut ein zentrales Thema.
Ruth Erdt steht im Gegensatz zur glatten und aufgemachten Modewelt, in der oft nur der Glamour zählt, sie arbeitet die Unebenheiten und Unzulänglichkeiten der Körper und der Haut richtiggehend heraus. Dadurch bekommen die abgebildeten Modelle etwas Fragiles, als stünden sie ungeschminkt und ohne Maske da – die verschiedenen Gefühlslagen der Modelle dringen voll an die Oberfläche. Die Profi-Mannequins bilden hier keine Ausnahme: Sie unterscheiden sich überhaupt nicht von den Modellen aus dem näheren Umfeld der Fotografin. Obwohl die Bilder von Ruth Erdt dem üblichen Kanon nicht entsprechen und gegen den herkömmlichen (Bilder-)Strom schwimmen, sind sie doch der Modefotografie zuzurechnen, stellen sie doch den Körper ins Zentrum, um den herum das Bild aufgebaut wird. Die Bieler Fototage zeigen zudem eine Bilderserie von Ruth Erdt, welche – fotografisch – um die Kleider von Christa de Carouge kreist resp. diese fokussiert. Die Bilderserie wurde eigens für die Bieler Fototage kreiert.