Crucifixion
Francis Traunig, Nicolas Righetti
“Ah, Da bist Du ja, mein Sohn!”
Lucia erhebt sich, und umarmt einen gut aussehenden Mann um die Dreissig. Fernando hat einen Bart und lange Haare.
Die Zärtlichkeit, mit welcher die kaum 16-Jährige diesem doppelt so alten Mann begegnet, verwirrt.
“Wie geht es Dir, mein Kind?”
Fernando trägt Turnschuhe und verwaschene Jeans; von Beruf ist er Ingenieur bei Teflon Mexico. Er spielt bereits zum dritten Mal den Christus und kennt die Rolle in- und auswendig. Zwei Tage vor den Feierlichkeiten musste er unvermittelt einspringen, denn der Mann, den das Komitee ursprünglich als Jesus ausgewählt hatte, war den aussergewöhnlichen Ansprüchen der Rolle nicht gewachsen. Fernandos Leben ist nicht mehr dasselbe, seit er das erste Mal ans Kreuz genagelt wurde. Sobald er im Dorf sein Gesicht zeigt, wird er zu allem Möglichen um Rat gefragt. Einige bekreuzen sich sogar, wenn sie ihn vorbeigehen sehen.
Von den drei Männern, die ich bisher als Jesus fotografiert habe, ist Fernando der charismatischste, und jener, der die Rolle am überzeugendsten ausfüllt.
Das neue Komitee der Festspiele scheint strenger mit den Fotografen umzuspringen – mehr und mehr von ihnen möchten jedes Jahr dem Umzug beiwohnen, in der Hoffnung, von dem bunten Bilderreigen (auch finanziell) zu profitieren. Wenigstens werden bis jetzt noch keine Modellfreigabe-Verträge verlangt.
Dieses Jahr werden wir zu zweit arbeiten: Zwei Blickwinkel auf eine Passion. Ganz aufgeregt sind wir, in der Erwartung, wieder Christus hinterher zu rennen, der selbst seinem sicheren Ende entgegen schreitet. Wir möchten etwas von den intensiven Emotionen einfangen, welche durch diese kollektive Katharsis geweckt werden.
Herstellungsjahr: 2005