Schon seit mehreren Jahren hinterfragt Catherine Leutenegger das Medium Fotografie und dessen Produktionsbedingungen. Im Herbst 2005 startete sie ein Projekt, in dem sie Fotostudios besuchte mit der Absicht, die Haltung ihrer Berufskolleginnen und -kollegen gegenüber der Digitalisierung der Fotografie in Erfahrung zu bringen. Die Bildserie “Hors-champ” (“ausserhalb des Bildrahmens”) ist das überzeugende Resultat dieser Arbeit. Der Ort, an dem Bilder entstehen, der intime, diskrete, ja geheime Raum wird öffentlich gemacht und ans Licht gebracht. Die Technik, mit der die Farbbilder gemacht wurden, ist hochklassig, Licht und Ausschnitt werden meisterlich gehandhabt, die Details sind fein herausgearbeitet; die Beherrschung des Technischen in Kombination mit der Originalität des Themas brachte der Fotografin 2007 den Manor-Preis des Kantons Waadt ein.Nachdem Catherine Leutenegger die Fotostudios der Romandie abgeklappert hatte, begab sie sich dank eines Werkstipendiums nach New York. Dort angekommen, interessierte sie sich nicht “nur” für ihre Berufskolleginnen und -kollegen, sondern wählte diesmal einen phänomenologischeren Ansatz. Sie verlässt New York vorübergehend und geht nach Rochester / NY, die Hauptstadt der Fotografie, auch “Kodak City” genannt. Dort richtet sie ihr Augenmerk neu aus und konzentriert sich auf den Produktionsort, auf die industriellen Komponenten, d.h. auf die Herstellung des Films und die damit verbundenen Abläufe.
“The Kodak City” behält die Farbe bei, ändert allerdings die Form. Nach den grossformatigen Bildern von “Hors-champ” vollendet die Künstlerin ein kleines Werk, das begleitet wird von Texten, welche ihre Absichten und die Methode ausführen. Das (Log-)Buch, auf Kosten der Künstlerin publiziert, geht ein auf eine ergiebige, weiterführende Materie, es behandelt das heikle Thema der Filmoberfläche. Catherine Leutenegger setzt sich letztlich mit der berühmtesten Firma, die mit Fotografie und fotografierelevanten Themen in Verbindung gebracht wird, auseinander, und liefert einen persönlichen Kommentar dazu. Das Fazit ist vernichtend. Eine Abfolge von leergefegten Strassen, von heruntergekommenen Geschäften, von schon oder demnächst zerfallenen Häusern, ein trauriger und grauer Himmel, und zur Abrundung ein paar Gespräche. Der Schritt von der maroden Umgebung zur maroden Fotofilm-Industrie ist kurz. Von weitem sieht die Kodak-Firma noch leidlich aus. Je näher man allerdings kommt, desto deutlicher sieht man die riesigen, verlassenen Parkfelder, und das Innere der Firma zeugt von verflossener Grösse und von überholten Moden. Die Meta morphose ist in vollem Gang und oszilliert zwischen fortschreitendem Niedergang und von der digitalen Revolution beschleunigter Vernachlässigung. Rochester beherbergt “die Headquarters der Eastman-Kodak- Gruppe”, des “weltweit führenden Bild-Unternehmens”, die Marktführerschaft scheint allerdings schwer gefährdet. Rochester steht in der vormals stolzen Tradition der Arbeiterstädte Pennsylvanias oder Michigans, das Gedeihen der Stadt hängt nicht zuletzt vom Geschäftsgang von Kodak ab. Weil die Firma allerdings die Tragweite und die Radikalität der digitalen Revolution nicht verstanden und damit die Entwicklung verpasst hat, steckt sie seit 1994 in einer tiefen Krise. Seither hat die Firma über ein Drittel ihrer Gebäude abreissen lassen und 30’000 Stellen abgebaut. Die Auseinandersetzung mit der Art und Weise, wie ein Abzug entsteht und mit der Frage, welche formellen und räumlichen Herausforderungen damit verbunden sind, untersucht den Einfluss der digitalen Revolution in einer eher soziologisch gefärbten Form und berührt dabei Themen wie die Wirtschaftskrise und deren logische Folgen: Arbeitslosigkeit, Entvölkerung der Stadt, Anstieg der Kriminalität – und das alles aus der Sicht von ein paar ausgewählten Kodak-Angestellten. Dieses bedrückende Umfeld hat das Format und die Beziehung vom Bild zum Text stark beeinflusst. Auf der einsamen Reise durch diese Stadt im Niedergang hat Catherine Leutenegger spontan damit begonnen, Aufzeichnungen zu machen und zu schreiben. Einerseits setzte sie sich damit zusätzlich aus, andererseits gab ihr das Schreiben die Möglichkeit, das Innere abzuhorchen und der traurigen Grundstimmung einen Riegel zu schieben. Die Anforderung, ihren Gefühlen und jenen der Personen, mit denen sie sich unterhielt, sprachlichen Ausdruck zu verleihen, führte letztlich dazu, dass sie ein Heft führte, in dem sich das Erlebte und Gesehene in Form einer Erzählung kristallisierte: “Ein Buch ist sehr gut dazu geeignet, die Spur einer Geschichte nachzuzeichnen; es erlaubt es, Bilder gleichsam in Formalin einzulegen”. Das Buch ermöglicht es auch, den Gebrauchscharakter zu betonen und für eine bestimmte Zeit Abstand zu nehmen vom autonomen Werk und seinen ästhetischen Herausforderungen, d.h. Abstand zu nehmen von der Unvereinbarkeit von Kunst und Dokument. Die moderne Welt wandelt sich konstant. Das Werk von Catherine Leutenegger setzt sich mit einem Abschnitt amerikanischer Industriegeschichte auseinander. Es ist eine Form von Industrie, die vom Untergang bedroht ist. Die Künstlerin selbst kämpft nicht an vorderster Front gegen diesen Niedergang, sie stellt aber ihren Berufsalltag, den Alltag mit und in der Kunst dar. Catherine Leutenegger ergreift nicht Partei und hat nicht im Sinn, das Schicksal des Fotofilms persönlich zu beeinflussen. Mit ihrer Arbeit will sie weniger die Welt verändern, als vielmehr eine Bestandsaufnahme eben dieser Welt vornehmen. Die Fotografie wird zur historischen Spur, ästhetisch nähern sich die Bilder dem “dokumentarischen Stil” oder auch den Aufnahmen von Stephen Shore an. Kodak hat dank seiner Fotofilm-Produktion bei der Archivierung von Dokumenten eine herausragende Rolle gespielt. Es macht ganz den Anschein, als möchte die Firma selbst nicht Thema oder, wenn man so will, Kandidat für ein Archiv werden. Besucherinnen und Besucher werden, streng bewacht, über einen ganz bestimmten und klar abgesteckten Parcours durch die Firmengebäude geführt. Catherine Leutenegger wollte hinter die Mauern und Vorhänge schauen, stiess aber auf eine Mauer der Ablehnung. Das Management möchte nicht, dass jemand das Auseinanderfallen des Konzerns und dessen unsichere künftige Entwicklung von nahem betrachtet. Man kann die emotionalen und strategischen Gründe, die hinter einer solchen Ablehnung stecken, nachvollziehen, das Image der Firma steht auf dem Spiel. Die Autopsie ist damit aufgeschoben, der dokumentarische Impetus, der hinter dem Projekt steckt, ist vorübergehend gebremst. Die Wahl des Fotoapparates ist mit dem Thema verschachtelt. Wäre es nicht eine Ironie des Schicksals, wenn dieser Bericht über Geschichte und Niedergang des Fotofilms digital aufbereitet würde? Digitale und analoge Fotografie haben sich hier ergänzt. Sobald das Licht knapp war, dafür aber reichlich Zeit zur Verfügung stand, kam eine analoge Mittelformatkamera zum Einsatz. Für die spontaneren Bilder “on the fly” nutzte die Fotografin hingegen eine digitale Spiegelreflexkamera. Das grossartige Werk ist also sozusagen von einem Zwitter realisiert worden. (Ariane Pollet)
Herstellungsjahr: 2007