Die beste Freundin
Judith Stadler
Nichts stimmt mehr. Die Eltern werden schwierig, die Geschwister lästig, der eigene Körper bricht aus und Zugehörigkeit muss verhandelt werden. Gerade noch war alles so einfach, gut und böse, innen und aussen, fremd und vertraut. Aber jetzt treibt die Pubertät die Kindheit aus. Und nur eine Person versteht einen dabei. Eine einzige, die alles weiss, der alles anvertraut werden kann, die beste Freundin.
Mit ihr werden freie Nachmittage verbracht, Ärger und Liebeskummer geteilt und Kleider anprobiert. Die beste Freundin leiht einem ihr Ohr oder den tollen Ohrstecker, sie kann Geheimnisse für sich behalten und bei der Frisur beraten. Sie darf immer unter dieselbe Decke kriechen und jederzeit anrufen, sie ist besser als alle, grossartig, stark, schön, verständnisvoll und dabei doch selbst so unsicher und verletzlich – diese Ähnlichkeit beruhigt.
In ihrer Serie “Die beste Freundin” porträtiert Judith Stadler reale Freundinnen. Die Fotografin entwickelt die Porträtfotografie den technischen Möglichkeiten gemäss weiter und überhöht den Stellenwert der dokumentierten Freundschaften durch digitale Bearbeitung der Bilder. Judith Stadler ersetzt das Gesicht des einen Mädchens durch dasjenige des andern. Zu wem das im Bild nun zweifach vorhandene Gesicht ursprünglich gehört, lässt sich für die Betrachterin, den Betrachter nicht mehr entschlüsseln. Fern jeder technischen Spielerei erzählen diese Porträts von der eben so verwirrenden wie faszinierenden Identitätssuche adoleszenter Seelenverwandter. Die Serie porträtiert keine Teenager, sondern die tiefe Vertrautheit und die Fragilität ihrer Freundschaft.
Fanni Fetzer, Zürich