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Journées photographiques de Bienne, 3.–26.5.2024

Carnival Strippers
Susan Meiselas

Die Bilder zeigen und dokumentieren die Girl-Shows, die ich in Neuengland in den Sommern 1973, 1974 und 1975 besucht habe. Die Frauen, die ich bei dieser Gelegenheit kennenlernte, waren zwischen 17 und 35 Jahren alt. Die meisten von ihnen stammten ursprünglich aus Kleinstädten, die sie auf ihrer Suche nach Mobilität, nach Geld, nach der grossen weiten Welt und einem anderen Leben als das, das ihnen vorgeschrieben oder vorgezeichnet schien, verlassen haben. Der Jahrmarkt bot ihnen die Gelegenheit, das «alte Leben» hinter sich zu lassen. Es waren Ausreisserinnen, Freundinnen von Schaustellern und Klubtänzern, sie arbeiteten mal hier mal dort, nie fest, aber immer professionell. Sie wurden bar bezahlt, 15 bis 50 Dollar pro Nacht, Spesen wurden dabei vorgängig abgezogen.

Die Frauen agierten auf einer mobilen Showbühne auf einem Lastwagen. Die Bühne bestand aus zwei Teilen: Einer «öffentlichen» Zone, die von überall her einsehbar war und als Anwerbefläche genutzt wurde, und einer von einem Zelt überdeckten Fläche für «private Treffen». Die beiden Bühnen waren jeweils durch eine Garderobe getrennt. Immer und immer wieder, Tag und Nacht bewegten sich die Frauen von der hinteren auf die vordere Bühne und zurück, begleitet von den plärrenden Werbesprüchen der Anheizer, welche die Menge von einem Ort zum anderen zu locken versuchten, wo die Frauen jeweils für die Dauer einer Single-Schallplatte performten. Das Publikum war ausschliesslich männlich. Man konnte vom Farmer bis zum Banker alles sehen, Väter besuchten die Show mit ihren Söhnen, nie aber «Frauen und kleine Kinder» («no ladies and no babies, please»). Die Budenstadt verweilte jedes Jahr jeweils drei bis fünf Tage an einem Ort, dann wurde abgebrochen, die Trucks wurden beladen und die Karawane brach auf zur nächsten Station, mit den Frauen im Schlepptau. Das Leben «on the road» erschöpfte sich in Essen, Bars und Motelrooms, die Stunden verstrichen zäh mit Warten, Wäsche, Kartenspielen, TV – und Gesprächen untereinander.

Die Girl Show ist ein Business, und Striptease in einer Budenstadt ist einerseits harter Wettbewerb und andererseits saisonal beschränkt. Diejenigen Frauen, die das Jahrmarkts-Strippen zum Beruf machten, klapperten im Winter Go-Go-Bars, Strip-Clubs und Single-Parties für Männer ab oder arbeiteten als Gelegenheits-Prostituierte. Für die meisten Frauen war der Jahrmarkt eine Zwischenbeschäftigung, eine Station auf ihrem Weg zur Kellnerin, Sekretärin oder Hausfrau. Diese Welt zu (er)finden, heisst noch lange nicht, sie auch zu anerkennen. Ich wollte eine Art Bestandesaufnahme, ein Inventar der Girl Show vornehmen. Ich wollte nachzeichnen, was ich dort gesehen hatte, und aufdecken, was die Frauen bei ihrer Arbeit empfanden.

Susan Meiselas

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