Durch die Hügellandschaft Pennsylvaniens rast ein Lastwagen, die schwarz verhüllte Fracht auf seiner Pritsche sieht aus wie die überdimensionalen Zauberkisten eines reisenden Magiers. Am Steuer sitzt David Hackenberg. Er jagt den Frühling, schon zum dritten Mal in diesem Jahr. Den ersten erwischte er in Florida, den zweiten in Pennsylvania und New York, jetzt will er auch den in Maine, ganz oben im Norden an der Grenze zu Kanada, 1200 Kilometer liegen vor ihm und seinen Bienen auf der Ladefläche, 356 Völker, 356 Kästen, gestapelt zu zwei grossen Quadern, in denen der Hunger wächst und sich der Sammeltrieb staut. Hackenbergs Fuss liegt wie ein Stück Blei auf dem Pedal, 440 PS, zehn Gänge, linke Spur, er sagt du musst das Heu einholen, wenn die Sonne scheint.
Mit ihren Bienen, dem Nutztier Nummer drei nach Rind und Schwein, ziehen in den USA einige hundert Gross- und Wanderimker die Küsten hinauf und hinunter, von West nach Ost, von den Rändern ins Innere und wieder zurück – von den Orangenhainen zu den Mandelbäumen, von den Kirschblüten zu den Preiselbeeren, von den Kürbissen zu den Melonen zu den Pfefferbäumen, Avocados, Gurken, Nüssen… Jährlich erwirtschaften die Bienen viele Milliarden Dollar – aber nicht als Honigsammler, sondern durch ihre Arbeit als Bestäuber. Ohne sie, wäre das Nahrungsangebot ärmer und teurer, Honigbienen sind der Anfang einer gigantischen Wertschöpfungskette, deren Ende die Kirschen im Yoghurt und die getrockneten Apfelringe bei Wal-Mart und Migros sind, die Blaubeermuffins im Coffeeshop, die Mandelsplitter auf dem Mövenpick-Eis, die Gurkenrädchen bei McDonalds, selbst das Steak im Restaurant und die Milch in der Tüte, weil auch Futtermittel vor allem dank der Bienen massenhaft gedeihen. Bees for rent, anywhere, any crop – Bienen zu vermieten, überall, für alle Feldfrüchte. So werben die Wanderimker, wenn die Saison beginnt.
Stefan Scheytt, freier Journalist, Auszug aus: Neue Zürcher Zeitung, «Zeitbilder», 03.09.2005
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