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Journées photographiques de Bienne, 3.–26.5.2024

Corrida – Die Betrachtung des Todes als Fest
Giorgio von Arb

«Auf dem Weg der Verbote trennte sich der Mensch vom Tier. Er versuchte dem masslosen Spiel des Todes und der Fortpflanzung (der Gewaltsamkeit), in deren Macht das Tier sich ganz und gar befindet, zu entrinnen. Doch auf dem sekundären Weg der Überschreitung näherte sich der Mensch dem Tier wieder. Er erblickte im Tier, was der Verbotsregel entgeht, was der Gewaltsamkeit (dem Exzess) offen bleibt: der Gewaltsamkeit, von der die Welt des Todes und der Fortpflanzung beherrscht wird.» Georges Bataille «Die Erotik»

Im Stierkampf findet sich auf unvergleichliche Weise eine Komprimierung von «Eros und Tod» an einem einzigen Ort: der Plaza de Toros. Als Zuschauer nehmen wir an diesem atemraubenden Geschehen teil, das uns im gleichen Mass fasziniert wie erschüttert und dem wir tatsächlich von Geburt an selbst unterworfen sind.

Der ursprünglich moralische Ausgangspunkt meiner fotografischen Annäherung an dieses unvergleichliche und radikale Opferritual führte mich in eine unerwartete und widersprüchliche Welt, in einen Mikrokosmos von Leidenschaft und Tod, deren Offenbarung an Festtagen in Spanien und Südfrankreich mich in Bann nahm und sich mit zunehmendem Wissen vom moralischen Kontext entfernte.

Die Betrachtung des Todes – beim Stierkampf während eines rituellen Festes mit dem Matador und den Toreros, Picadores und Banderilleros als Hohepriester, dem Toro mit seiner fünfhundert Kilo schweren Urkraft eines wilden Tieres und von Natur aus dem Menschen an sich überlegener Hauptdarsteller, auf den sich alles ausrichtet und von dem fast alles abhängt – ist doch aus unserer medienfixierten Entrüstungsgesellschaft nicht mehr wegzudenken. Und auch wenn spanische Liveausstrahlungen von Corridas nach der Grenze dank Euro-Codierung nicht mehr empfangen werden können, nehmen wir täglich über unsere nicht codierten Fernsehsendungen, News wie Fiction, an Ritualen von Eros und Tod teil, vornehmlich mit Menschen, mit Kindern, Frauen und Männern, mit Soldaten, Zivilisten, Verhungernden und Verlierern, mit Entwürdigten und Opfern.

Der Stierkampf sei Tierquälerei, klagen Kalb-, Rind- und Schweinefleisch verzehrende Mitteleuropäer, die sich jedoch kaum um die Tierhaltung unserer nationalen und internationalen Fleischressourcen kümmern. Sie wissen darüber so wenig wie über die Corrida, der sie mit undifferenzierter Emotionalität und Vorurteil entgegentreten.

Meine Arbeit kann dem Tod seinen Schrecken nicht nehmen. Der Stierkampf auf der Plaza de Toros bleibt eine uns scheinbar fremde Metapher für den Triumph des Geistes über die Kraft.

Giorgio von Arb

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