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Journées photographiques de Bienne, 3.–26.5.2024

Der Konstrukteur des Unmöglichen
Pierre Montavon

Justo Gallego Martínez steht ausserhalb sämtlicher Normen. Bis zu seinem 40. Lebensjahr war er Trappisten-Mönch. Danach wurde er Konstrukteur und Bauherr in einer ganz speziellen und eigenen Sache: Seit über 40 Jahren arbeitet er an einem grossen aussergewöhnlichen Werk. Bei dem Werk handelt es sich um nichts weniger als um eine Kathedrale. Sie ist in einem Vorort von Madrid im Entstehen begriffen, 55 Meter lang, 25 Meter breit und 50 Meter hoch.

Um die Konstruktion des Bauwerks vollenden zu können, greift er auf rezykliertes Material zurück, das er sich dank Spenden von Firmen aus der Umgebung beschaffen kann und das er anschliessend bearbeitet und einbaut. Mit seiner Arbeit, so seine eigenen Worte, will er sich Gott immer stärker annähern. Der Glaube lebt fest in ihm, und entmutigen lässt er sich durch nichts und niemand. Er arbeitet ohne Unterlass, sechs Tage in der Woche, zehn bis zwölf Stunden am Tag. Einzig am Abend nimmt er eine kurze Mahlzeit zu sich. Nur unter diesen strikten Bedingungen, ist er überzeugt, kann ein Mensch ein derartiges Werk vollenden. Was er am meisten fürchtet, ist die Vorstellung, bald einmal nicht mehr über die nötige Kraft zu verfügen, um sein Werk beenden zu können, das in einer ersten Zeit Anlass gab zu Hohn und Meinungsverschiedenheiten mit den Bewohnern des Vororts und jetzt Bewunderung hervorruft.

Der ein wenig verrückte Traum von Gallego ist bereits überdacht und überkuppelt. Womöglich wird aus der Kathedrale schon bald ein Touristenmagnet oder – wieso nicht? – ein Wallfahrtsort. Voraussetzung ist, dass sich die Wirtschaftsvertreter in ihren Machtzentralen nicht anders entscheiden. Es liegt tatsächlich im Bereich des Möglichen, dass das Bauwerk wieder abgerissen wird. Zur Zeit allerdings macht es den Anschein, dass sich das Unmögliche behaupten kann und die Energie und der Glaube aus Demut obsiegen. Früher wurden die Kathedralenkonstrukteure und -erbauer in ihrer Gesamtheit gelobt. Diesmal gebührt das Lob einem Einzigen.

Pierre Montavon

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